Mal was Schriftliches
Buchstaben, Worte, Sätze, Geschichten. Seit Gründung der Theaterfabrik begleitet Wolfgang Waldmann unser Schaffen als treuer Freund, Begleiter und Rezensent. So manches Ensemble fieberte nach der Premiere den Worten von Wolfgang entgegen und hielt meist begeistert seine Rezension in den Händen. Danke Wolfgang für deine Worte und gleichermaßen, das einmalige Zeitzeugnis unserer Theaterarbeit. Hier findet ihr immer mal wieder neue/ alte Rezensionen.
Gedanken zu „Die Schule der Diktatoren“, nach Erich Kästner. Premiere 15.02.2025:
Wer will schon eine Diktatur? Der böse Diktator natürlich. Falsch,
sagt Erich Kästner. Alle profitieren von der ‚Macht‘. Und wer hat
die ‚Macht‘? Alle, die das System stützen. Glauben sie zumindest.
Bis sie ausgetauscht werden. Von wem? Von anderen, die glauben,
die ‚Macht‘ zu haben. Bis auch sie …
Niemand kann jemandem trauen, auch sich selber nicht. Die
Schulung in der Schule der Dikatoren betrifft jeden. Doch wer
weiß schon davon?
Kästner liefert dafür in seinem Text Bilder. Ihm geht es 1956 nicht
um psychologisches Ergründen individueller Schuld, nicht um
Charakterisierung einzelner Machtträger. Kästners Bilder
verallgemeinern: sie zeigen die Austauschbarkeit aller und die
Vergeblichkeit der Veränderung eines Machtsystems.
Die Inszenierung durch Lars Evers nimmt diesen Ansatz beim
Wort. Als habe er vorher George Orwells Roman ‚Farm der Tiere‘
gelesen – oder vielleicht hat ja Kästner vorher George Orwells
‚Farm der Tiere‘ von 1945 gelesen -;) – wie auch immer: ‚Die
Schweine errichten schließlich eine Gewaltherrschaft …‘ heißt es
in Orwells Satire.
Diese ‚Anleihe‘ tut dem Text von Kästner gut: Unter und hinter
den Masken von Schweinen und anderen typisierten ‚bösen‘
Tieren eröffnet Evers einen Spielraum, der dem Ensemble die
spielerische Freiheit für Komödiantisches und Satirisches gibt,
für Übertreibungen und Anspielungen, für individuelle schau-
spielerische Begabungen und Stärken.
Doch wie setzt man eine solche Idee auf der Bühne um?
Da ist zunächst die grandiose Ausstattung durch Steffi Klein,
die den 13 Darstellenden zwar die typisierenden und treffenden
Tier-‚Masken‘ über die Köpfe stülpt, andererseits aber in den
Kostümen für die Bewegung hineichend Arm- und Beinfreiheit
lässt.
Dennoch dürfte diese ungewöhnliche Einschränkung der Sicht
eine besondere Erschwernis für das Miteinander-Agieren
gewesen sein. Und: die Darstellung auf der Bühne lebt vom
Ausdruck des Gesichts. Wenn das Gesicht nun verhüllt ist, muss
der Ausdruck über Bewegung, Haltung und Gestik vermittelt
werden. Und sicher ist auch das Sprechen unter solchen
Umständen eine besondere Herausforderung. Das Ensemble ist
mit diesen Schwierigkeiten – und dank einer gelungenen Regie –
nicht nur bewundernswert umgegangen, sondern hat – wieder
einmal – durch Spielfreude und Tempo überzeugt.
Eine schnelle Bilderfolge also des verborgenen Machtsystems.
Damit das zügig ablaufen kann, hilft die Technik einer Drehbühne
auf der Bühne. Auch hier überzeugt die Idee: Wer ist Täter? Wer
Mitläufer, wer Handlanger? Wer schiebt wen ins Rampenlicht der
‚Öffentlichkeit‘? Wer aus dem Machtspiel ausscheidet, wer sich
vermeintlich ‚privat und verdeckt‘ verhält … die Drehbühne
offenbart, dass jeder und jede in diesem Getriebe eingespannt ist –
heißt, dass dieses Gertiebe nur funktioniert, wenn alle mitmachen.
‚Der große Diktator‘ von Chaplin lässt grüßen …
Einschränkung der Sicht – Gesicht und Ausdruck verborgen –
Handeln oder gesteuert werden …
Die Inszenierung als flotte Satire wirft zuweilen ein erschrecken-
des Licht auf Realitäten. Auch wenn Lars Evers betont, dass es
nicht geplant war, dass am Tag der Demonstration und eine
Woche vor den Bundestagswahlen die Premiere stattfindet.
Wie anfangs betont: dies ist keine Rezension. Sondern meine
Wertschätzung von Inszenierung und Darstellung. Und der
Theaterfabrik.
Wolfgang Waldmann
16.2.2025
Und hier eine tolle Schrift über den Anfang der TF auf der Luisenstraße aus dem Jahr 2008:
Wieso sich der Besuch der „Theaterfabrik“ in Düsseldorf lohnt?
Ein Bekenntnis.
Es gab schon kleinere Bühnen in Düsseldorf. So erinnere ich mich an
Kurtenbachs Zimmertheater auf der Bilker Allee, in dessem engen
Wohnzimmer unsere Klasse in den 60ern kaum Platz fand und doch tief
beeindruckt den Heimkehrer Beckmann aus Borcherts „Draußen vor der Tür“
erlebte, ja, hautnah mit ihm litt – und genau diese Nähe hat sich mir weit
intensiver eingeprägt als Details aus der Aufführung.
Nein, eine Fabrikhalle steht der „Theaterfabrik“ nicht zur Verfügung, aber
ihre Bühne von gerade mal 4 zu 5 Metern kann sich rühmen, 50 Gästen in
bequemen Sofas, Sesseln und Stühlen eine intime Nähe zu professionellem
Theater zu bieten.
Denn professionell ist vieles auf der Luisenstraße 120. Vor allem die
Schauspieler, die sich als festes Ensemble „Theaterfabrik“ nennen.
Was macht das Besondere dieser Gruppe aus? Ihre langjährigen Erfahrungen
mit eigenen Inszenierungen renommierter Texte ist das eine Standbein.
So war zuletzt, 2008, Patrick Süßkinds „Kontrabass“ mit vielen Aufführungen
ein voller Erfolg und gewann dem Haus viele neue „Stammgäste“.
Was diese Inszenierungen jedoch überraschend einfallsreich macht, ist die
Herkunft der Gruppe aus dem Improvisationstheater, ihr zweites Standbein:
hellwaches Entwickeln eines thematischen Plots, Erfinden anschaulicher Bilder,
akrobatische Körperbeherrschung, Freude am reaktionsschnellen Miteinander
des Spielens und geistreiche Kommunikation mit ihrem Publikum.
Seit ihrer Gründung 2001 hat die Gruppe häufig diese beiden Interessen
miteinander verknüpft und eigene Stücke geschrieben, sich sozusagen auf
den Leib geschrieben: Provozierende thematische Reaktionen auf aktuelle
gesellschaftliche Fragen. Die oft starken und heftigen szenischen Bilder der
Inszenierung verbanden genaues Hinsehen in der Recherche und Symbolik
der Szenen überraschend lebendig miteinander.
Und voller Leben ist die schauspielerische Umsetzung der Gruppe, die sich
zwar einerseits konzentrierte Genauigkeit der mimischen und sprachlichen
Mittel abverlangt, andererseits aber ihre Spielfreude nicht verhehlt und sich
die Reaktion auf das Publikum nicht untersagt. Denn ihre Freude an einem
unmittelbaren und spontanen Publikumsbezug hat die Gruppe „Theaterfabrik“
aus ihrer Erfahrung als Zimmertheater von 2002 – 2005 auf der Helmholtzstr.38
in Düsseldorf uneingeschränkt in die „Theaterfabrik“ herübergebracht.
Professionell ist aber auch die technische Ausstattung der Spielstätte
„Theaterfabrik“. Keine knarrenden Bühnendielen, aber ein schwerer Vorhang,
wie’s sich gehört. Aufwendige Lichtdramaturgie ist ebenso möglich wie die –
zugegeben modische – Kombination von life-video-projektion und Schauspiel.
Und hinter der Bühne? Dass die „Theaterfabrik“ ein gut funktionierendes Team
von Mitarbeitern hat, zeigen nicht nur die gut gemachten monatlichen Flyer, die
pünktlich an die Freunde des Theaters und an Institutionen verschickt werden,
zeigt nicht nur die monatliche Anzeige im „biograph“. Das Team lernt der
Besucher der „Theaterfabrik“ vor und nach der Aufführung und in der Pause
kennen und schätzen: In der kleinen Bar, in der es nicht nur Getränke zu
kleinen Preisen gibt, sondern anregende Gespräche und Diskussionen den
Theaterabend doppelt attraktiv machen – oder im Foyer oder im Theaterhof,
wo man mit Sicherheit „alte“ Bekannte trifft.
Dass diese Abende um die Aufführung herum einladend sind, ist nicht zuletzt
der liebevollen und individuellen Ausstattung zu verdanken.
So ist es nicht zu verwundern, dass sich in der „Theaterfabrik“ gerne auch
andere Theatergruppen anmelden. Und umgekehrt: Die „Theaterfabrik“ – die
übrigens seit 2007 ein e.V. ist – spielt auch auf fremden Bühnen.
Im Rahmen dieses Austausches entstand in den letzten Jahren die Idee, die
Bühne an einem Abend im Monat unter dem Thema „Tu was du nicht lassen
kannst“ für Menschen ‚wie du und ich’ zu öffnen, die schon immer mal auf
einer Bühne stehen wollten. Wie sich zeigte, entstehen auf diese Weise ganz
neue Fan-Gemeinden, die mit „ihrem Schauspieler“ einen lustigen Abend
erleben.
Bei so viel Professionalität war es naheliegend, die eigenen Schauspiel-
Erfahrungen weiterzugeben: Der erste erfolgreiche Workshop „Schichtwechsel“
fand 2008 statt und endete mit der Aufführung eines eigenen Stückes der
Teilnehmer in der „Theaterfabrik“.
Nein, ein Zimmertheater ist die „Theaterfabrik“ nicht mehr, jedoch hat sie sich
die Nähe zum Publikum bewahrt, die den Theaterabend zu einem Abend unter
Freunden werden lässt.
Wolfgang Waldmann,
Düsseldorf im Juli 2008